KÜNSTLERPORTRAITS

LEON LÖWENTRAUT - WENN MALEN WIE FLIEGEN IST

Text: Kunsthistorikerin und Autorin Dr. Dorothee Achenbach I Fotos: ©Uwe Erensmann

Yehudi Menuhin (1916-1999), einer der größten Geigenvirtuosen aller Zeiten, wurde in einem Interview einmal gefragt, ob es für ihn als Kind nicht schrecklich gewesen sei, stundenlang Violine üben zu müssen. Menuhin, ein Wunderkind, das bereits im Alter von sieben Jahren mit dem San Francisco Symphony Orchester aufgetreten war, schaute den Reporter groß an und sagte: „Aber nein, wo denken sie hin! Hätte man mir meine Geige genommen, wäre das so, als würde man einem Vogel die Flügel nehmen!“

Wir kennen die Reaktion des düpierten Journalisten nicht, aber die von Leon Löwentraut sehr wohl: Als ich dem jungen Maler mit dem modischen, blonden Sidecut die Anekdote erzähle und die Frage stelle, ob das für ihn so ähnlich wäre, wenn man ihm den Pinsel wegnehmen würde, ruft er begeistert: „Ja, genauso!“ Damit ist schon viel gesagt über Leon Löwentraut, den die Zeitungen abwechselnd als Wunderkind, Life-style-Produkt, Shooting Star oder Malergenie bezeichnen. Aber wir wollen die Kirche im Dorf und solche Titel wie letzteren Michelangelo oder Picasso lassen. Die Superlative, ohne die unsere Zeit scheinbar nicht mehr auskommt, hat er gar nicht nötig: Tatsache ist, dass Leon Löwentraut – übrigens kein Künstlername - sein Metier mit größter Leidenschaft betreibt, sehr talentiert ist und bereits Verkaufspreise im höheren fünfstelligen Bereich erzielt. Und das mit 19 Jahren und ohne akademische Ausbildung. Schon jetzt sind die Zutaten für spätere Mythenbildung bereitet: Die Mutter, eine Krankenschwester, die in der Freizeit malte, ihr kleiner Leon der ihr zusah, sich auch Pinsel und Farbe schnappte und der Mama nacheiferte. Schon früh soll sich gezeigt haben, dass da ein besonderer Löwentraut heranwuchs, der sich erst gar nicht mit Strichmännchen, Autos oder anderen Kritzeleien kindlichen Gemüts abgab. Dann der kometenhafte Aufstieg mit kaum 17 Jahren: Berichte in Hochglanzmagazinen und Tageszeitungen – ein Boulevardblatt verstieg sich gar zu der Wortschöpfung „Bubicasso“– Talkshowauftritte, ausverkaufte Ausstellungen.

Ein Medienhype und Erfolg, den ein junger Mann, der damals noch in Kaarst zur Schule ging, erst mal verkraften muss. Doch bislang ist „LL“ bodenständig geblieben, Allüren kann man keine feststellen. Das liegt auch daran, dass er eng betreut wird: Seine Eltern sind fast immer dabei, Mutter Heike und Vater Jörg achten darauf, dass ihr Junge nicht verheizt wird. Sie geben ihm Rat und den emotionalen Rückhalt, den man braucht, um in der verlockenden, schnelllebigen Welt der Kunst zu bestehen. Auch sein Atelier ist von großstädtischem Flair weit entfernt: Es liegt in einem Meerbuscher Stadtteil in einer Straße, in der man kaum vermuten würde, dass hier Kunst entsteht, die vielleicht einmal die Wände eines bedeutenden Museums schmücken wird. Denn eines steht für Leon fest: Seine Bilder sollen in einigen Jahrzehnten im New Yorker Guggenheim oder MoMa hängen, das ist Traum, Vision und Ansporn zugleich.

„Auch wenn man mich an der Düsseldorfer Kunstakademie abgelehnt hat – ein akademischer Werdegang ist nicht ausschlaggebend für das künstlerische Schaffen oder eine erfolgreiche Karriere“, erläutert er selbstbewusst und schlägt die langen Beine übereinander.

Wie erklärt er sich seinen Erfolg? Legionen von Akademieabsolventen müssen Taxifahren oder Nachhilfe-Unterricht geben, um zu überleben, und er fand schon als Schüler mühelos Abnehmer, die Tausende von Euro für eines seiner Bilder auf den Tisch legen. Er stellte bereits in London, New York und demnächst in Paris aus, realisiert ein auf viele Jahre angelegtes künstlerisches Projekt für die Unesco. „Ich habe immer gemalt, weil ich malen wollte, habe meine Visionen oder Gefühle auf die Leinwand gebracht. Ich experimentiere, lasse meiner Phantasie freien Lauf. Ich lasse mich nicht unter Druck setzen, male nie, um irgendwem zu gefallen, das wäre nicht authentisch. Die Menschen sollen Freude an meinen Bildern haben. Vielleicht liegt es daran. Und ich hatte Glück!“ Auch die Klaviatur der immens einflussreichen digitalen Präsenz beherrscht Leon: Er hat Tausende Facebook-Freunde und auf Instagram über 50.000 Follower. Die können nicht nur seine Werke bestaunen, sondern auch am aufregenden „Alltags“-Leben des jungen Malerhelden teilhaben. Seine Technik möchte er noch verbessern und verfeinern, schließlich ist er Autodidakt und will noch dazu lernen. Er setzt auf privaten Unterricht – auf den Austausch mit anderen werdenden Künstlern, wie ihn die Akademien bieten, legt er im Gegensatz zu vielen Kunststudenten nicht viel Wert – seinen Stil hat er bereits gefunden, darüber diskutiert er nicht. Leon, der gerne nachts bei lauter Musik malt, ist eher der Typ Einzelgänger und Einzelkämpfer. Fragt man ihn nach künstlerischen Vorbildern, fallen wenig überraschend die Namen Picasso, Matisse und Jean-Michel Basquiat, auch Pollock und Warhol. In der Tat sind seine aktuellen Gemälde ebenso wie die früheren Werke vor allem ohne Pablo Picassos mittleres und spätes Werk nicht denkbar.

Plakative, bunte Farben, expressive Gesichter mit großen Augen und Mündern, sowie kubistische Formen erinnern an diese Phase des großen Meisters. 

Und nicht zuletzt die dynamische Pinselführung – wer Leon “life“ beim Malen oder Zeichnen erlebt, hat das Gefühl, der Junge könne das auch blind machen, so sicher und schnell zieht er das Malwerkzeug über den Grund. Doch er eifert dem genialen Spanier Picasso nicht platt nach oder bedient sich einfach aus dessen Motivrepertoire, vieles unterscheidet ihn vom facettenreichsten Künstler des 20. Jahrhunderts: Leon legt in seinen Kompositionen, denen viel Intuitives anhaftet, zahlreiche Schichten übereinander. Da sind in einzelne, leuchtende Farbflächen unterteilte Hintergründe, darauf Figuren, darüber wiederum vielfältige Linien, Striche, Punkte, Tupfen und Kurven, die manches Gemälde zu einem Wimmelbild machen. Man kann, so sagen es seine Düsseldorfer Galeristen Yvonne und Dirk Geuer, „darin spazieren gehen“. Bei jeder Betrachtung ist Neues zu entdecken, man sieht andere Interaktionen, findet versteckte Zeichen oder Hinweise. Auch vor großen Formaten scheut sich der gebürtige Kaiserslauterner nicht – eine Königsdiziplin, an der viele scheitern, doch er meistert sie und füllt die Leinwand mit einem furiosen, wilden Spiel aus Farben, Formen und Bezügen. Auf die Frage, ob er denn auch schon mal Bilder vernichte, antwortet er schnörkellos: „Wenn ich keine Inspiration habe, gelingt mir nichts. Ich habe Bilder schon verbrannt, zertreten und zerhämmert“. Man kann sich solch einen Wutsaubruch bei dem besonnen wirkenden jungen Mann schwer vorstellen, aber seine Motive und schwungvolle Malgestik zeugen eindeutig von einem nicht zu unterschätzenden Temperament. Seit er die Schule hinter sich und den Führerschein bestanden hat, konzentriert er sich ganz auf seine Malerei - sie ist sein Leben. Etwas anderes käme für ihn auch nicht in Frage. Das wäre, als würde man einem Vogel das Fliegen verbieten.

Dorothee Achenbach im Interview mit Leon Löwentraut