STERNEKÖCHE

IM KRÄUTERGARTEN VON FOOD REBEL SILVIO EBERLEIN

SPITZENKOCH SILVIO EBERLEINS LIEBLINGSPLATZ: MITTEN IN SEINEN BIO-KRÄUTERN – UND IN SICHTWEITE DER HOFEIGENEN BIENENSTÖCKE.

Bericht und Fotos: Ingo Kabutz

PURE LEBENSLUST zu Gast bei Spitzenkoch Silvio Eberlein im Historischen Gasthaus Buschkamp in Senne bei Bielefeld. Silvio ist ein echter Food Rebel. Denn er sprengt die Grenzen herkömmlicher Küche und fühlt sich als Teil einer neuen Liga außergewöhnlicher Köche, die ihr ganz eigenes Ding machen. Ich schaue ihm vor allem in seinem unfassbaren Bio-Kräuter- und Gemüsegarten über die Schulter und erfahre, was einen Food Rebel wirklich auszeichnet: Er nimmt sich die Freiheit, so anders, so eigenständig und so abseits des Mainstreams für seine Gäste zu kochen, dass regelmäßig Begeisterung über diese Genusserlebnisse aufkommt.

Herr Eberlein, Ihr Bio-Kräuter- und Gemüsegarten ist ein Traum und mutet fast unwirklich an. Wer diese Aromen einmal in sich aufnimmt, möchte bei Ihnen speisen, das ist klar. Auch wenn der normale Genießer sicherlich nur einen Bruchteil der Kräuter- und Gemüsensorten kennt. Wie häufig gibt es solche Landrestaurants wie Ihres mit eigenen Kräutergärten eigentlich noch?
Viele Restaurants, vor allem auch Sterne-Restaurants, arbeiten mit Bauern zusammen, da sie meistens innenstadtnah liegen. Daher gibt es kaum Restaurants, die selbst mit solchen Kräutergärten arbeiten.

Etwa eine Hand voll in Deutschland? Ja, nicht viel mehr. Wir versuchen, unseren Gästen den Kräu- tergarten nahezubringen, indem wir eine Kräuterführung anbieten. Die Gäste dürfen alles testen. Dadurch bemerken unsere Gäste auch, dass wir fast Selbstversorger sind. Wir haben ja noch zwei weitere Bauerngärten, wo wir auch noch Gemüse und Blumen anbauen. Zum Beispiel haben wir hier die wirklich alten Tomatensorten – sehr fleischig, manche rund, oval, manche gelb, manche grün, manche schwarz.

Im Moment sieht man noch nichts.
Genau, noch ist es nicht so weit. Wir bauen auch Wildkohl, Meerrettich, Rhabarber, Beinwell, echte und römische Kamille an. Und Mädesüß.

Was ist Mädesüß? Mädesüß ist ein Wildkraut und wächst sehr gerne an den Straßengräben, wo es ein bisschen feucht ist. Die Blüte schmeckt wie eine frische, unbehandelte Mandel. Wir wissen natürlich – weil wir seit 20 Jahren schon damit arbeiten – dass es hitzebeständig ist. Man kann zum Beispiel Crème Brûlée mit Mädesüß machen - das schmeckt sensationell! Hier haben wir die verschiedenen Kamille Sorten und den Amaranth, der sich jedes Jahr immer wieder selber aussäht. Bei uns wird nichts gespritzt und die Pflanzen, die wir dazu holen, beziehen wir nur vom Biogärtner. Schafgarbe ist für viele ein Unkraut. Wir lassen sie wachsen und geben sie in den Salat. In diesem Hause wird auch Giersch gegessen. Giersch ist für viele eines der größten Unkraute, aber ich kann nur sagen: esst es auf! Als Giersch-Spinat schmeckt es sensationell. Topinambur, also Erdartischocke, ist ein Sonnenblumengewächs. Viele wissen gar nicht, dass sie es im Garten haben, weil es sich vermehrt, wenn man es aus der Erde zieht. Damit hat man hat eine der schmackhaftesten Wurzeln. Wir haben auch verschiedene Minze-Sorten, verschiedene Basilikumsorten, Salz-Alant, Palmkohl, Porridge, Duftblütenknoblauch und ganz neu: Wasabino, Wasabirauke, die sehr scharf ist. Hier hinten haben wir etwas ganz Spannendes: Gewürztagetes. Tagetes kennen viele als Friedhofs- oder Studentenblume. Unser ist essbar. Wir kön- nen das gern probieren. Etwas reiben und mal dran riechen. Es riecht ein bisschen wie Parfum. Alle Synapsen im Gehirn springen an, weil es so lecker, so süßlich, so zitrusfruchtartig riecht und das Spannende ist, hier kann auch der Gärtner nicht sagen, welche Farbe die Blüte bekommt. Die Blütenfarbe bestimmt nachher das Aroma. Gelblich ist noch mehr Zitrus, orange wird eher orangig und die rötlichen schmecken wie eine Blutorange. Die Blätter sind auch essbar. Wir backen damit übrigens Kuchen oder machen Gewürzzucker daraus. Ansonsten kann man sehr gut Flammeri, ein altes Dessert, daraus zaubern. Das macht kaum noch einer, aber mit Gewürztagetes wird es wieder spannender. Übrigens haben wir hier Olivenkraut, Currykraut, roten Sal- bei, Bergbohnenkraut und gemeine Gartenkresse. Aber das erste Wort ist wichtig - „gemeine“. Wir haben gerade Wasabino probiert, jetzt probieren wir das nochmal und da nehmen wir ruhig das ganze Blatt und weiterkauen. Die schießt einmal hoch, es kann auch sein, dass eine Träne fließt, aber die schießt auch wieder runter im Aroma und wenn man weiterkaut passiert gar nichts, weil es nicht nachbrennt, das ist sofort wieder weg. Und jetzt mal so einen geräucherten Lachs, ein Klassiker, mal anders, anstatt mit Meerrettich oder Wasabi, mit gemeiner Gartenkresse Creme, das gibt’s dann halt bei uns. Hat ein senfiges Aroma. Wir haben hier auch alte Sorten Zucchini, auch zwei runde Sorten dieses Jahr dabei. Kapuzinerkresse bauen wir natürlich extra selber an. Jetzt stehen wir unter einem besonderen Baum - das ist die Mispel. Hat nichts mit der Mistel, mit dem küssen zu tun. Die Mispel ist eine alte Sorte, gehört zu der Familie der Äpfel und wird erst geerntet wenn sie Frost gekriegt hat. Also wie beim Grünkohl, das ist bei Äpfeln oder allen anderen ja nicht so. Vom Aroma her schmeckt sie wie eine reife Aprikose mit einer ganz frechen Säure. Wir machen daraus einen Sud, einen Saft und dann verarbeiten wir weiter eingeweckt im Glas. Wir kaufen aber auch nichts nach, also wenn es weg ist, ist es weg.

Die Zucchini sind jetzt ungefähr so groß wie ein Daumen. Wann sind sie küchenfertig?
Im Prinzip können wir die Zucchini jetzt schon ernten, da vorne die schöne gelbe Blüte wächst. Diese wird gerne als kleine Vorspeise, als Amuse Gueule, verwendet. Man könnte sie auch mit einer Stockfisch Brandade füllen und die Zucchini grillen - dann hätte man schon ein eigenständiges Gericht! Aber jetzt in dieser Größe ist es eine Delikatesse. Man könnte so reinbeißen und die schmecken auch lecker, nicht nur nach Wasser. Hier stehen dann die Salate, wir haben Ringelblumen, dahinten steht der Mangold, Kohlrabi in dunkel, also es geht halt hier weiter, ich könnte noch eine Stunde erklären was hier so alles wächst.    

Ein wunderschöner Arbeitsplatz und auch Lebensraum? Ja, Definitiv! Ich bin ja auch hier auf dem Hof Zuhause.

Sie sind hier verwachsen mit Ihrer Slow-Food Küche? 
Ja.

Ist das Ihr Lebenstraum? Ja, aber ehrlich gesagt, hätte ich nicht gedacht, dass mir die Gartenarbeit so viel Spaß macht, da ich jahrelang extremen Heuschnupfen hatte. Bis zum Erdbeeren ernten hat es noch gereicht aber danach hat es bei mir aufgehört. Dieses Jahr brauche ich kaum noch Tabletten, Sie sehen es ja, keine geschwollenen Augen, das hat mir Slow-food-technisch auch gut getan (lacht).

Ein anderes interessantes Thema auf unserem Hof ist die Erde. Wir machen unsere eigene schwarze Inka Erde. Wir haben hier einen kompletten Kreislauf auf dem Hof. Das Besondere an dieser Erde ist die Holzkohle. Die Holzkohle wirkt wie ein Nest für gute Organismen, die die Erde schneller abbauen. und zwar „EM“, effektive Mikroorganismen. Die Holzkohle, die in die Erde gebracht wird, die wirkt wie ein Nest für die guten Organismen, die die Erde schneller abbauen, wo sich dann die guten Bestandteile länger halten. Also das Stück Holz, das wir im Ofen verbrennen für das Brot, wird nachher Holzkohle. Wir löschen das vorher ab, wir stoppen das, das es nicht komplett abbrennt und diese Holzkohle bringen wir auf den Kompost. Vorher ernten wir die Kräuter, da haben wir die Stängel etc., nicht alle Stängel oder Schalen verwenden wir, die bringen wir dann auch wieder in den Kompost, vermischen das mit Holzkohle, geben effektive Mikroorganismen dazu, die zersetzen das alles schneller zur Erde und so haben wir unsere schwarze Inka Erde durch die Holzkohle. Diese schwarze Erde bringen wir wieder ins Feld, wo wir wieder die neuen Gemüse- und Kräutersorten anbauen, die wieder ins Restaurant gehen, wo wir wieder die Reste auf die Erde bringen. Also so ist bei uns der Kreislauf und da wird die Hand voll Restaurants, die sie vorher erwähnt haben, wahrscheinlich noch mehr aussortiert.

So, nochmal zum Kuchen. Wir backen unseren ganzen Kuchen selber und benutzen nur Biogetreide von Gut Rosenkrantz. Das ist ein landwirtschaftlicher Bioland-Betrieb.

Man kann nicht nur in Ihrem Restaurant wunderbar essen, sondern auch vieles mit nach Hause nehmen?
Ja, wir machen Gänserillette selber von unseren Bio-Gänsen, die wir aus der Region von Gütersloh kriegen, wir haben hier Edel-Salamis, westfälischen Schinken, die sehen wir gleich im Backspeicher, wie sie im Ganzen noch hängen und dann diese ganzen Produkte hier, wo überall unser Logo drauf ist, die wir alle noch klassisch, wie es Oma früher gemacht hat, einwecken, einkochen, nur haben wir heutzutage modernere Mittel, wir nehmen einen Druckkessel, damit wir auch sauber und sicher sind. Höherer Druck drauf und die Haltbarkeit. Es ist halt nichts drin, keine Chemie, keine Haltbarmacher, alles Natur. Das ist unser anderes Standbein, unser Brot. Wir backen das ganze Brot noch selber für alle Gäste, wir haben gar kein anderes. Alles ohne Hefe, na ja, so schmeckst eben auch.

Herr Eberlein, ich danke Ihnen sehr für dieses Gespräch.