GOURMET PRODUKTE

GUTES OLIVENÖL ERKENNEN UND GENIESSEN

Text: Ingo Kabutz I Fotos: Das Gold der Bauern

Etwa 70 % der als Extra Nativ deklarierten Olivenöle sind genau das nicht – was schockierend klingt, ist leider Tatsache. Ingo Kabutz hat sich mit einer Expertin zu diesem Thema unterhalten: Michaela Bogner ist Olivenöl-Verkosterin, deckt Einkaufsfallen auf und erklärt uns, wann Olivenöl wirklich Extra Nativ ist und worauf wir beim Kauf von ehrlichem Öl achten müssen.


„EXTRA NATIV“ – EIN EXKLUSIVES LABEL
Fast jede Flasche Olivenöl ist mit der Auszeichnung „Extra Nativ“ oder dem italienischen Begriff „Extra Vergine“ etikettiert – aber wo ist auch wirklich „Extra Nativ“ drin? Michaela Bogner ist ein wahrer Profi auf dem Gebiet. Als Verkosterin von Olivenöl erkennt sie Fehlnoten und weiß, wie Qualität produziert wird. Ihre Aufgabe ist es, Olivenöle nach EU-Verordnung in die Güteklassen Extra Nativ, Nativ oder einfaches Olivenöl – den drei Warenklassen, die zum Verzehr in der EU erlaubt sind – zu klassifizieren. Die Güteklasse „Extra Nativ“ ist laut EU-Verordnung die höchste Güteklasse bei Olivenöl. Um diese Auszeichnung zu erreichen, darf Olivenöl jedoch keine Fehlnoten aufweisen.

GERUCH NACH FRISCHE

Daher muss Olivenöl zunächst einmal sehr viele chemisch-analytische Werte (die in der EU-Verordnung relativ weit gefasst sind) erfüllen. Ein Beispiel: der Prozentsatz freier Fettsäuren bei extra nativen Olivenölen in der EU darf 0,8 % nicht überschreiten, ein Spitzenöl enthält nicht mehr als 0,3 % freier Fettsäuren. Je geringer also der Prozentsatz an freien Fettsäuren ist, desto besser ist das Olivenöl. Die zweite Verordnung, die Extra Natives Olivenöl eigentlich einhalten müsste, sind Geruch und Geschmack. Aber wann sind Geruch und Geschmack wirklich gut? Um dies richtig einordnen und beurteilen zu können, hat die EU eine Verkoster-Ausbildung in den einzelnen Olivenöl produzierenden Ländern geschaffen, die auch unsere Expertin Michaela Bogner absolviert hat – Olivenöl muss fruchtig riechen, erläutert sie: „Am Geruch und Geschmack erkenne ich direkt den Qualitätsunterschied. Öl hat, je nach Olivensorte, einen intensiven, aromatischen Geruch nach Frische, grünem Gras, frischen Strauchtomaten und frischen Artischocken. Im Geschmack hat es dann – das sind wir auch noch nicht so gewohnt als deutsche Verbraucher – Bitternoten im Mund und eine Schärfe im Hals.“ Grund dafür sind sogenannte Polyphenole, die für uns ernährungsphysiologisch wahnsinnig gut sind. Die Realität, die wir im Supermarkt finden, sieht leider ganz anders aus, wird uns erklärt: „Die chemisch-analytischen Werte bekommen Industrieproduzenten hin, einen fehlerfreien Geschmack erreicht Massenöl jedoch nicht.“ Und dennoch: vor dem Supermarktregal stehend, wird man feststellen, dass der allergrößte Teil der bei uns im Verkauf befindlichen Olivenöle alle eine Extra Nativ-Qualität versprechen. Also Öle, die die oberste Güteklasse verlauten und frei von Fehlnoten sind – und das ist nicht der Fall, so unsere Verkosterin. Der Grund, warum dennoch derart viele Olivenöle im Regal landen, die nicht frei von Fehlnoten sind, ist simpel.

EIN LITER OLIVENÖL FÜR 4,99 €?
Denn nicht jedes Öl, das im Supermarkt landet, muss von einem geschulten Verkosterpanel geprüft werden. Die chemisch-analytischen Werte müssen zwar einer Prüfung unterliegen, der Geschmack und der Geruch jedoch nicht. Wirklich frei von Fehlnoten sind daher bloß die Top-Spitzenöle. Auf diese Weise werden wir schlichtweg in die Irre geführt, denn schließlich denkt der Konsument, wenn er vor dem Olivenölregal steht, dass alles die höchste Güteklasse Extra Nativ sei, also sich auch die beste Qualität in der Flasche befindet. Jetzt wundert sich vielleicht noch der ein oder andere, dass er den Liter Extra Nativ für 4,99 Euro kaufen kann und dann aber gleichzeitig auch ein Liter für über 40 Euro angeboten wird. „Zwischen einem Extra Nativ deklarierten Olivenöl für 4,99 Euro und einem genauso Extra Nativ deklarierten Olivenöl für über 40 Euro liegen Welten“, erläutert Michaela Bogner, die bestürzende Wahrheit hingegen ist: „Für mich und für viele Qualitätsproduzenten ist diese EU-Deklaration Extra Nativ als höchste Güteklasse komplett hinfällig. Sie nutzt mir als Verbraucher vor dem Supermarktregal, wenn ich ein gutes Qualitätsöl kaufen möchte, überhaupt nichts mehr.“

9 VON 10 ÖLEN SIND NICHT EXTRA NATIV
Denn streng genommen, nach EU-Verordnung, ist die deutliche Mehrheit der Olivenöle leider nicht Extra Nativ. 70% – um es euphemistisch zu sagen – der Extra Nativ deklarierten Olivenöle weisen Fehlnoten auf und sind eigentlich nicht Extra Nativ. Die Dunkelziffer, die näher an die Wahrheit heranreicht, lautet jedoch, dass es bei neun von zehn Olivenölen so aussieht. Die Deklarierung „Extra Nativ“ ist folglich für den Verbraucher, wenn er nach gutem oder hochqualitativem Olivenöl sucht, heute kein Anhaltspunkt mehr. Aber woran können wir uns als Laien dann beim Kauf von Olivenöl überhaupt noch orientieren? So simpel es klingt, aber der Preis scheint tatsächlich der erste Anhaltspunkt für gutes Olivenöl zu sein, wie unsere Expertin erklärt: „Ich muss, wenn ich eine gute Qualität Olivenöl in Deutschland aus dem Regal kaufen möchte, bereit sein, zehn Euro für den halben Liter auszugeben. Und wenn ich ein Spitzenöl haben möchte, welches von den Aromen und eben auch aus ernährungsphysiologischer Sicht ein Spitzenöl ist, dann muss ich in Deutschland für den halben Liter schon eher 16 Euro aufwärts ausgeben.“ Die Faustregel lautet also: Billiges Öl ist immer schlecht. Nun muss teures Öl aber auch nicht immer gleich gut sein. Entscheide ich mich also für den Kauf eines Spitzenöls für, sagen wir mal, 16 Euro den halben Liter, muss ich anfangen, das Etikett genau zu studieren – hier heißt es also: Lesebrille aufsetzen und das Kleingedruckte lesen. Denn nur so erfahre ich, wer dieses Olivenöl produziert und abgefüllt hat. Bei den billigen Ölen werden Sie sehen, dass bloß ein Abfüller vermerkt ist, nicht also der Produzent, der diese Oliven angebaut, verarbeitet und abgefüllt hat.

INDUSTRIELLE ODER HOCHWERTIGE ÖLE
Der industrielle Abfüller kauft Öl aus unterschiedlichen Ländern, unterschiedlicher Qualitäten ein, mischt diese bei sich und füllt sie in eine Flasche ab. Bei den Industrieölen sehen Sie oftmals den Hinweis „Mischung aus Oliven der europäischen Union“ – ein Olivenöl also, das größtenteils aus Griechenland und Spanien kommt und gern häufig mit dem italienischen Image versehen wird. Vorne auf der Flasche sehen wir dann die italienische Flagge oder sehr italienisch klingende Namen. Dahinter stehen industrielle Großabfüller. Lesen wir „Öle aus dem Mittelmeerraum“, können wir mit türkischen oder marokkanischen Olivenölen rechnen. Es ist also relevant, die Herkunft nachvollziehen zu können, veranschaulicht uns die geprobte Verkosterin: „Ich habe jetzt gerade zum Beispiel eine Flasche von meinem toskanischen Produzenten vor Augen, da steht dann auf Italienisch ‚prodotto e confezionato‘, das heißt: ‚produziert und konfektioniert, verpackt am Ursprung der Landwirtschaft‘. Dann stehen da die Namen der Personen drauf sowie die Straße und der Ort. Es ist wichtig, dass ich genau lesen und sehen kann, wo die Oliven herkommen, angebaut worden sind und dass das Öl dort auch tatsächlich abgefüllt wurde. Das ist schon ein erstes Gütezeichen dafür, dass ich sicher sein kann, dass die Oliven aus dieser Region kommen und die Wege kurz sind. Also der Produzent hat geerntet, ist dann bestenfalls entweder in seine eigene oder in eine naheliegende Ölmühle gefahren, hat diese Oliven verarbeitet und dann selbst abgefüllt.“ Eine weitere Orientierungsstütze: Auch das Jahr der Ernte und Produktion (Anno di produzione) kann ein Merkmal von Qualitätsproduzenten darstellen.

KULINARISCHER GENUSS
Auch wenn’s im Geldbeutel schmerzt – es gibt genügend Gründe, warum wir zu teurem Olivenöl greifen sollten. Dieses verheißt uns nämlich nicht nur mehr Genuss, sondern liefert aus ernährungsphysiologischer Sicht Qualitätsmerkmale, die gleichermaßen für den höheren Preis sprechen: Olivenöl enthält Vitamin E sowie Polyphenole – Antioxidantien, die entzündungshemmend wirken und der Zellalterung vorbeugen. Diese sind bei hoch qualitativen Olivenölen in etwa 300 bis 1000 mg pro Kilogramm enthalten. Wer also Qualität und einen guten Geschmack möchte, sollte sich nicht zu schade sein, zu teurem Öl zu greifen. Der zunächst hoch wirkende Preis wird obendrein durch die Tatsache gelindert, dass kleinere Mengen benötigt werden. Bei hochwertigem aromatischen Öl reichen die kleinsten Mengen, um beispielsweise einen Salat zu verfeinern. Das heißt, der Verbrauch ist geringer, und der Preis so auch verkraftbarer. Selbst beim Braten hat Olivenöl als pflanzliches Fett einen Vorteil gegenüber tierischen Fetten und ist daher bestens zum Braten geeignet: es hat einen Rauchpunkt bei 220 bis 230 Grad Celsius, wir frittieren bei 160/170 Grad Celsius. Olivenöle haben einen hohen Prozentsatz an einfach ungesättigten Fettsäuren, die hitzestabiler sind. Letztendlich lohnt der Griff zu hoch qualitativen Olivenöl definitiv, erzählt Michaela Bogner, wenn sie Olivenöl für ihre Speisen verwendet: „Allein schon der Geruch, der mir da entgegenströmt. Dieses Olivenöl ist für kulinarisch interessierte Menschen wirklich eine Offenbarung. Es ist einfach eine Freude – Punkt.“

MICHAELA BOGNER
Michaela Bogner hat ihre Ausbildung in einem Land der weltweit größten Olivenöl-Produzenten gemacht – in Italien. Angefangen hat ihre Leidenschaft durch einen sechsjährigen Aufenthalt in Florenz von 1999 bis 2005, bei dem sie die Produktion von Olivenöl hautnah miterleben konnte. Nico Sartori, Olivenölbauer der Fattoria Altomena in Pelago bei Florenz, machte Michaela auf die Ausbildung zur Verkosterin an der Florentiner Industrie- und Handelskammer aufmerksam. 2011 begann sie dann ihre Ausbildung bei der weltweiten Koryphäe Dr. Marco Mugelli. Heute macht sie Verkostungen, importiert hochwertige Bio-Olivenöle aus Italien, gibt Workshops und hat einen kleinen Onlinevertrieb.

MICHAELA BOGNER
Ainmillerstrasse 25
80801 München
T +49 89 45 21 96 52
mb@dasgoldderbauern.de
www.dasgoldderbauern.de

GEHEIMTIPP: EIN LUXUS-ÖL AUS DER TOSKANA

Das mittel bis intensiv fruchtige Olivenöl Olio Extra Vergine „Oscarlino“ ist ein ebenso herausragendes wie gering verfügbares Olivenöl und darf sich ohne Zweifel als Luxusöl bezeichnen. Ende Oktober bis Anfang geerntet, kommt das naturbe-lassene Olivenöl aus einem sehr begrenzten, kleinen Olivenhain mit 40 Jahre alten Oliven-bäumen in der Nähe der mittel-alterlichen Stadt Scarlino in der Maremma, Toskana. Auf dem familien-eigenen Anwesen wird das Öl nicht nur angebaut und geerntet, sondern auch gepresst und abgefüllt. Pro Jahr werden nur ca. 250 - 300 Liter produziert. Hersteller: Borgo la Stella, Agricola Familiare, Radda in Chianti. Deutsch-belgische Winzer und Olivenbauern.
www.borgolastella.com.

KAUF-TIPPS FÜR OLIVENÖL

1. Der Preis: Je teurer das Olivenöl ist, desto besser ist seine Qualität. Planen Sie bei einem halben Liter 10 € für gutes Olivenöl ein, bei Spitzenöl sogar 16 €.
2. Produzenten-Hinweis: Achten Sie darauf, dass der Produzent des Olivenöls und nicht bloß der Abfüller vermerkt ist.
3. Industrie-Öl vermeiden: Vermeiden Sie Öl zu kaufen, bei dem nur der Abfüller vermerkt ist, beispielsweise bedeutet „Olivenöl aus der EU“ eine Mischung aus wahrscheinlich griechischen, spanischen und eventuell etwas italienischen Öl.
4. Anders als bei Wein: Beachten Sie das Erntejahr – je kürzer es zurück liegt, desto frischer das Olivenöl.
5. Haltbarkeitsdatum: Olivenöl ist verderblich. Schützen Sie das Olivenöl vor Licht und Wärme.