KÜNSTLERPORTRAITS

FELIX SCHEINBERGER - ILLUSTR(IERT)ES BERLINER NACHTLEBEN

UNGEHEMMT UND FREIZÜGIG

Interview: Beatrice Steinbach

„Hedo Berlin“ entführt den Betrachter in die - für die einen abstoßende und für die anderen reizvolle - Schattenwelt Berliner Nachtclubs. Felix Scheinberger ist in die etwas abwegigeren Clubs wie den KITKAT Club und den BERGHAIN gegangen und hat in seiner unverwechselbaren Art zu Skizzieren, das im wahrsten Sinne des Wortes lichtscheue Publikum gezeichnet. In seinem unnachahmlich farbenfrohen Illustrationsstil werden hier Menschen in Situationen porträtiert. Weniger konzentriert sich hier der Künstler auf die korrekte Anatomie. Von originell bis leicht bekleideteten Menschen, Federboa tragenden Diven, Ledertypen, Unisex-Toiletten und diversen sexuellen Darstellungen - Scheinberger gewährt uns einen Einblick in ein Etablissement, in dem Fotographieren streng verboten ist, in der die Gesellschaft ungehemmt und freizügig sein kann. Mit pinkem Halbleinen, silberner Heißfolienprägung, Siebdruck auf dem Umschlag und schwarzem Farbschnitt ist HEDO BERLIN ein Schmuckstück. Es gibt zwei Vorzugsausgaben in kleiner Auflage, die das Buch im pinken Schuber mit einer original Radierung von Felix Scheinberger enthalten.

Felix, ich bin das erste Mal auf Dich aufmerksam geworden, weil Du das Novum-Cover 4|2016 handkoloriert hast. 13.000 verschiedene Motive – jedes Exemplar somit ein Unikat. Das klingt sehr ungewöhnlich für die heute schnelllebige, digitalisierte Zeit. Wie kamst Du zu Deinem Beruf Ilustrator und was macht Dich aus?
Ich mochte eigentlich immer zwei Sachen: Musik und Zeichnen. Und als Jugendlicher habe ich eine Weile beides gemacht. Aber Schlagzeuger in einer Underground Band ist einfach kein richtiger Beruf und deshalb habe ich mich dann entschlossen, in Hamburg Illustration zu studieren.

Wenn man Deine Beiträge in den sozialen Medien verfolgt, habe ich den Eindruck, dass Du nie ohne Dein Skizzenbuch ausgehst. Was inspiriert Dich?
Tatsächlich verlasse ich fast nie das Haus ohne ein Skizzenbuch einzustecken. Allerdings meistens ein kleines. Ich zeichne einfach gerne. Unterwegs, wenn ich etwas Zeit habe – aber auch manchmal in der Bahn oder wenn ich in einem Café oder einer Bar bin.

Du arbeitest als Dozent, Illustrator und bist stellvertretender Vorsitzender der Illustratoren Organisation – wie sieht Dein künstlerischer Alltag aus?
Ich bin Professor an der FH Münster und das teilt meine Woche in der Regel in zwei Hälften. Eine in der ich Zeichen und Illustration vermittele und eine in der ich selber zeichne und illustriere. Und beides macht mir gleich viel Spass.

Wie sieht Dein Illustrationsunterricht aus? Was gibst Du jungen angehenden Illustratoren auf den Weg?
Ich finde es essenziell wichtig, dass Illustration nicht als schönes „Selbstverwirklichungshobby“ aufgefasst wird, sondern dass die Studierenden schon an der Hochschule lernen, dass Illustration ein Beruf ist, von dem sie später auch leben müssen. Einfach nur schöne Bilder malen reicht dann nicht. Im Unterricht geht es deshalb neben qualitativ hochwertigen Illustrationen auch um Fragen wie: „Wie finde ich Kunden?“, „Wie organisiere ich meinen Arbeitsalltag?“ oder welche Fallstricke gibt es auf dem Weg in die Selbständigkeit.

Wer oder was ist Deine Inspirationsquelle und wer hat Dich gelehrt? Gibt es ein „Idol“?
Eine alte Künstlerlebenslüge lautet: „Inspiration käme ausschliesslich aus einem selber“. Das ist natürlich Mumpitz, denn ohne Vorbilder fällt es viel schwerer, eigene Wege zu finden. Meine Vorbilder waren immer zeichnerische Illustratoren. Allen voran Tomi Ungerer aber auch Zeichner wie Ralph Steadman oder Horst Janssen.

Ist Illustration für Dich als Reisender eine Alternative zum Fotografieren?
Ein Foto bildet die Welt ganz anders ab als eine Zeichnung. Das ist vermutlich auch der Grund, warum Zeichnungen, die versuchen Fotos zu kopieren, eigentümlich langweilig und tot wirken. Die Stärke der Zeichnung liegt in ihrer Fähigkeit, Dinge zu überspitzen. Die reine Abbildung sollte man vermutlich lieber dem Foto überlassen.

Verschafft die Illustration einen anderen Zugang zu anderen Kulturen, Orten, Lebensweisen?
Unbedingt. Zeichnen ist eine Sprache, die ohne Grammatik und Vokabeln auskommt. Ein Brot oder ein Bett auf einen Zettel gekritzelt überwindet jede Sprachgrenze. Zeichnung ermöglicht es uns, mit Menschen zu kommunizieren, ohne ihre Sprache zu sprechen. Und dies ist in der Praxis ein wunderbarer Weg, sich Menschen und Kuturen zu erschließen.

Kann man diese Sichtweise erlernen und kann jeder skizzieren?
Auf jeden Fall! Persönlich glaube ich, dass der Begrifff „Talent“ etwas überstrapaziert wird. Meiner Erfahrung nach stecken höchstens 5% Talent aber 95% Übung hinter fast jeder künstlerischen Leistung. Wichtiger ist es eigentlich immer, dass man sich den Spaß an der Sache bewahrt. Denn wenn einem etwas Spaß macht, macht man es automatisch oft – und was immer wir oft machen, machen wir eines Tages auch gut.

Entdeckt man mit dem Zeichenstift oder Pinsel anders als mit der Kamera?
Man entschleunigt mit dem Skizzenbuch und ich glaube, das macht den Hauptunterschied aus. Eine Zeichnung braucht eben einfach eine kleine Weile. Eine Weile in der man sich dann die Zeit nimmt, um seine Umgebung genauer zu betrachten und sie nicht nur für einen Schnappschuss abzuarbeiten.

Kannst Du Dich an Deine erste Zeichnung erinnern?
Ehrlich gesagt nein. Aber ich habe meine frühen Zeichnungen noch, weil meine Mutter eine kleine Mappe für mich aufgehoben hat. In meiner Kindheit scheine ich mich wohl vor allem für Drachen, Dinosaurier und Indianer interessiert zu haben. (lacht)

Wie sind die Reaktionen der Menschen, die Du gezeichnet hast?
Die allermeisten Menschen reagieren überraschend positiv. Selbst meine Zeichnungen aus den Berliner Nachtclubs sind in fast allen Fällen positiv aufgenommen worden. Eine Zeichnung ist eben kein Foto. Sie ist zwar möglichwerweise hart, aber sie wird nie distanzlos oder pornographisch.

Wie lange dauert eine Illustration im Durchschnitt?
Eine schnelle Skizze in einer Bar oder einem Club dauert nur ein paar Minuten. In schwarz-weiß vielleicht fünf, mit Farbe sechs.

Wie bringt man als Illustrator Emotionen aufs Papier, gerade in Etablissements, die eher düster sind?
Ich denke nicht soviel darüber nach sondern vertraue meiner Intuition.

Eine ungewöhnliche Vorstellung – ein skizzierender Künstler inmitten des exzessiven Rummels zwischen Bars und Menschen, zwischen Fetisch, Drogen, Sex und Alkohol.
Ich glaube, einen Gin Tonic habe ich auch dabei getrunken. (lacht)

Was hat Dich gereizt, das Buch Hedo herauszugeben? Das geheimnisvolle Unbekannte ans Tageslicht zu bringen mit Hilfe eines kleinen Tabubruchs – nämlich das Fotoverbot zu umgehen?
Vermutlich reizt einen Künstler immer ein wenig das Neue, das Unbekannte und das Geheimnisvolle.

Wie hast Du dich gefühlt?
In fast allen Bildern geht es um Emotionen, ohne die man als Künstler nicht auskommt. Ich finde es ungeheuer spannend, in der hochemotionenlen Atmosphäre der Clubs zu zeichnen und persönlich habe ich mich eigentlich immer sehr inspiriert gefühlt.

Wie lange hat die Entstehung des Buches gedauert und wie lange bist Du durch die Clubs gezogen?
Die Zeichnungen sind alle zwischen 2012 und 2016 in den Berliner Clubs entstanden.

Was kommt als nächstes Projekt? Hast Du schon etwas geplant?
Ich arbeite gerade an einem neuen Lehrbuch über das Zeichnen, welches im nächsten Jahr erscheinen wird. Tatsächlich wird es etwas „speziell und neu“. Aber ich werde zu diesem Zeitpunkt noch nicht zu viel verraten. Nur schon so viel: ICH freue mich schon sehr darauf.

Felix, wir sind sehr gespannt und vielen Dank für das Interview.

FELIX SCHEINBERGER

Prof. Felix Scheinberger (Fachhochschule Münster für Design) wird als der gegenwärtige „Skizzier Papst“ (Design Made in Germany) in Deutschland gesehen. Als einer der bekanntesten und innovativsten deutschen Illustratoren, hat er in den letzten 10 Jahren über 50 Bücher illustriert. Außerdem veröffentlicht er regelmäßig Zeitungen und Zeitschriften und arbeitet für verschiedene Theater. Mit seinen Design Bestsellern „Wasserfarbe für Gestalter und „Mut zum Skizzenbuch“ hat Felix Scheinberger in den letzten Jahren die deutsche Illustrations- und Zeichen-Szene inspiriert. Seine Illustrationen sind nicht nur geprägt von feinster Zeichenkunst, sondern durch seine kecke, karikaturistische Art.